Vom 26.8. bis 5.9. fand in Reykjavik die diesjährige EM statt und nach über einem Jahr freute ich mich wieder ein echtes Schachturnier zu spielen. Was viele vielleicht nicht wissen, die EM wird als offenes Turnier ausgerichtet und so entschloss ich mich vor allem aufgrund des Spielortes für eine Teilnahme. Dass die Isländer hervorragende Schachturniere organisieren können, haben sie schon oft bewiesen und auch diesmal ist es wieder gelungen ein super Turnier auf die Beine zu stellen.
Auch abseits vom Schach kann ich Island nur empfehlen. Freundliche Menschen, eine sehr entspannte Atmosphäre und nicht zuletzt eine wunderschöne Natur. Dazu viele gemütliche Cafés, die ich für meine Partievorbereitung am Vormittag reichlich frequentiert habe. Einziger Nachteil sind die Preise, aber im Vergleich zu meinem letzten Besuch 2017 hat die isländische Krone deutlich abgewertet, sodass es momentan halbwegs erschwinglich ist.
Bevor es zum schachlichen Teil geht, fange ich erstmal mit ein paar bildlichen Eindrücken an.
Ich hatte diesmal leider keine Zeit für größere Unternehmungen außerhalb von Reykjavik, daher habe ich die beiden folgenden Bilder von meinem letzten Besuch genommen.
Nun zum schachlichen Part. Bereits vor dem Turnier hatte ich mir vorgenommen den einen oder anderen Titelträger zu ärgern. Dass es dann auch gleich mit einem Paukenschlag losging, war aber natürlich nicht zu erwarten. Mein Auftakt-Coup, der Sieg gegen GM Marin Bosiocic, wurde an diversen Stellen ja bereits hinreichend gewürdigt. Es ist schon erstaunlich was eine Partie bewirken kann.
Aber auch darüber hinaus war ich mit meiner Leistung zufrieden. In Runde 2 konnte ich ein Remis gegen GM Sasa Martinovic nachlegen. In Runde 3 brachte ich dann GM Nidjat Mamedov durchaus ins Schwitzen. Hier konnte ich davon profitieren, dass ich in der Coronazeit mein Eröffnungsrepertoire erweitert habe und ihn mit einer Variante überraschen konnte. Im Mittelspiel erreichte ich eine sehr aussichtsreiche Stellung.
Nach den beiden erfolgreichen Partien zuvor, war das für mich psychologisch eine außergewöhnliche Situation, der ich am Ende nicht wirklich gewachsen war. Ich begann hier mit meiner Bauernmehrheit am Königsflügel von einem Königsangriff zu träumen, statt rationale Entscheidungen zu treffen. Der Angriff wurde im Keim erstickt und danach verschlechterte sich meine Stellung zusehends bis zur Niederlage.
Der Nachteil des anfänglichen Erfolges war, dass mich die weiteren Titelträger im Turnier ausgesprochen ernst genommen haben. Ein IM in einer späteren Runde sagte mir nach unserer Partie „I was a bit afraid of you. I think you are underrated“. Dennoch hatte ich die eine oder andere gute Chance gegen stärkere Gegner etwas mitzunehmen, was ich zum Teil durch einfache Fehler vergab. Das beste Beispiel dafür ist vielleicht diese Partie.
Ehrlicherweise muss ich aber ergänzen, dass ich gegen die schwächeren Isländer auch mal das Glück des tüchtigen auf meiner Seite hatte. Am Ende waren es für mich 5 Punkte aus 11 Partien, was ich bei dem erlauchten Teilnehmerfeld als erfolgreiches Ergebnis werte. Unterm Strich stand ein Elo Plus von +14 was bedeutet, dass ich nun erstmals über 2200 Elo habe. Theoretisch berechtigt dies zum CM Titel, meine einzige Motivation dafür wäre jedoch diesen Titel möglichst schnell wieder loszuwerden (durch den FM). Spaß bei Seite, das Geld investiere ich lieber in ein gutes Schachbuch ????.
Insgesamt war die EM war ein großartiges Erlebnis, einziger Wehrmutstropfen war, dass sie unter Coronabedingungen stattfinden musste. Insbesondere waren keine Zuschauer zugelassen und auch die Teilnehmer durften nach ihren Partien nicht im Turniersaal bleiben, d.h. es war leider nicht möglich den Topspielern länger zuzuschauen. So konnte ich zum Beispiel die sehenswerten Partien von Vize-Europameister Vincent Keymer nicht live verfolgen. Dennoch gilt ein großer Dank den Organisatoren unter den aktuellen Umständen ein solches Turnier auf die Beine zu stellen! Ich werden hoffentlich noch Gelegenheiten haben, das eine oder andere weitere Turnier in Reykjavik zu spielen…
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